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Aktualisiert: 2014-02-11 Forschung > Forschungsprogramm 2003-2006 > Leitfragen |
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Forschungsprogramm 2003-2006 In der dem Sfb zugrunde liegenden Konzeptualisierung der Erforschung des Wandels von Staatlichkeit wird der ansonsten überladene Begriff der Staatlichkeit in verschiedene Dimensionen desaggregiert und an eine historisch reale, wenn auch idealtypisch stilisierte Konstellation angebunden. Vor diesem Hintergrund sieht die Arbeitsplanung vor, die eingangs erwähnten drei Leitfragen in unterschiedlichen Modulen zu beantworten. Dabei soll eine feinstufige Konzeptualisierung des Wandels angestrebt werden, um im Ergebnis ein Forschungsprogramm entwickeln zu können, das alle drei von Caporaso (2000:4) identifizierten Kardinalfehler - Überabstraktion, Überaggregierung und dichotomische Konzeptualisierung des Wandels - vermeidet.
Die genannten Module folgen nicht zwingend aufeinander, sind keinesfalls zeitlich immer gleichgewichtig, und Überschneidungen werden aus pragmatischen Gründen unvermeidlich sein. Gleichwohl kann sich die Abfolge der Bearbeitung von Fragestellungen an einer derartigen Moduleinteilung orientieren. Mit anderen Worten, die drei Phasen des Sfbs stimmen grob mit den drei genannten Modulen überein. Die folgenden Ausführungen zum Forschungsprogramm gliedern sich entsprechend dieser Module. Leitffrage 1: Der Wandel von Staatlichkeit Die Ausgangsvermutung unseres Forschungsprogramms besagt vielmehr: Die nationale Konstellation ist seit den 1970er Jahren auch in der OECD-Welt unter Druck geraten. Dabei übersetzt sich dieser Druck nicht unmittelbar in eine "neue Staatlichkeit". Er vermittelt sich vielmehr durch die politischen Reaktionsweisen auf die gegebenen Herausforderungen. Daher wird der DRIS keinesfalls einfach verschwinden oder drastisch geschwächt werden. Die erste Leitfrage lautet vielmehr: Wie rekonfiguriert sich Staatlichkeit? Eine Abweichung vom DRIS in einer Dimension wird in unserer Konzeptualisierung als Verlagerung bezeichnet. In dem Maße, wie sich je nach Dimension unterschiedliche Richtungen und Geschwindigkeiten der Verlagerung ergeben, lassen sich asynchrone Prozesse beobachten, die mit dem Begriff der Zerfaserung erfasst werden. Zerfaserungsprozesse, die in neue Konstellationen mit synergetischen Effekten münden, stellen dann eine Re-Konfiguration der Staatlichkeit dar. Konzeptualisierung des Wandels Die moderne Policy-Forschung geht jedoch über diese einfache Dichotomie von Staat und Gesellschaft hinaus: Politische Macht wird dabei als zwischen Staat und gesellschaftlichen Akteuren teilbar bzw. sogar nur in "kooperativer Konsensbildung" (Ritter 1990, 1979) ausübbar angesehen. Möglich ist daher auch die staatlich geschützte Selbststeuerung sozialer Subsysteme, z.B. in Form von verbandlich regulierter Normsetzung. Zwischen den Polen "komplette Verstaatlichung" und "komplette Privatisierung" finden sich also de facto viele Zwischenformen (vgl. Feigenbaum u.a. 1998). Im Falle der Interventionsformen wird beispielsweise verwiesen auf die über Normen vermittelte gesellschaftliche Selbstregelung (Mayntz/Scharpf 1995), Inkorporierung bestimmter gesellschaftlicher Akteure in die staatliche Steuerung wie beim Korporatismus (vgl. Lehmbruch/Schmitter 1982), staatliche Steuerung mittels marktkonformer Mittel oder Rückverlagerung von sozialstaatlichen Aufgaben an die Familie etc.. Gerade der Betrachtung dieses Formwandels zwischen den Polen wird besondere Aufmerksamkeit gelten müssen (Alber 2001:31). Der Ausgangspunkt der Untersuchungen hängt freilich vom spezifischen Typus des DRIS ab, und die Entwicklung in Richtung einer der genannten Pole erfolgt immer relativ zum Status quo ante des Untersuchungslandes. In den vier Dimensionen stellen sich folgende Fragen:
Eine Verlagerung kann sich auch aus einer räumlichen oder territorialen Perspektive ergeben, und zwar in allen Dimensionen im Verhältnis von nationaler Ebene zu anderen politischen Ebenen. Dabei muss zunächst die Nationalisierung von einer politischen Denationalisierung unterschieden werden. Nationalisierung bezeichnet einen Prozess, bei dem die nationale politische Ebene im Vergleich zum Status quo noch stärker zum Brennpunkt des Politischen wird. Dort zieht der DRIS Kompetenzen, Aufgaben, Ressourcen, politische Prozesse und Loyalitäten an sich, die ehemals bei internationalen oder auch subnationalen Institutionen verankert waren. Politische Denationalisierung bezieht sich hingegen auf zwei Prozesse, bei denen die Autonomie des DRIS, seine Kompetenzen und auch seine gesellschaftliche Unterstützung relativ gesehen abnehmen: Es geht um den Prozess der Internationalisierung und den der Subnationalisierung. Internationalisierung meint, dass Elemente von Staatlichkeit von der nationalen auf die internationale Ebene abwandern. Dann übernehmen internationale und transnationale Organisationen oder auch Regime einzelne Aufgaben und bestimmte Ressourcen vom Staat oder eignen sich neue Kompetenzen an. Eine vollständige Internationalisierung wäre dann erreicht, wenn der DRIS alle wesentlichen Ressourcen, Kompetenzen, Aufgaben und politische Prozesse an internationale Institutionen abgibt bzw. verliert. Subnationalisierung bedeutet hingegen umgekehrt, dass sich zumindest einzelne Dimensionen von Staatlichkeit von der nationalen auf die subnationale Ebene verschieben. Institutionell breit ausgetretene Pfade finden sich hierfür insbesondere in föderalen Staaten. Subnationalisierung muß aber keinesfalls auf Bundesstaaten beschränkt bleiben, sondern kann in Form von Dezentralisierung auch in unitarischen Staaten stattfinden. Bereits heute besitzen die Kommunen in einigen Zentralstaaten eine höhere fiskalische Autonomie als die Gemeinden in einigen Bundesstaaten (OECD 2000). Mit einer kompletten Subnationalisierung würde sich also verbinden, dass der DRIS praktisch alle wesentlichen Aufgaben, Ressourcen und auch Kompetenzen etwa an Gliedstaaten, Regionalkörperschaften oder Kommunen abtritt oder abtreten muss. Ähnlich wie beim Verhältnis von Staat und Gesellschaft sind auch beim Verhältnis der nationalen zur internationalen bzw. subnationalen Ebene vielfältige Schattierungen zu beachten. Denn vielfach wird auch hier politische Macht zwischen den angesprochenen Ebenen geteilt. Deshalb sind zwischen der kompletten Denationalisierung und der vollständigen Nationalisierung vielfältige Zwischenformen denkbar. Insbesondere in sogenannten politischen Mehrebenensystemen werden Kompetenzen, Ressourcen, Aufgaben und auch politische Prozesse von der internationalen über die nationale und die subnationale Ebene hinweg so geteilt, dass auf keiner Ebene ohne die Kooperation der anderen Ebenen selbständig gehandelt werden kann. Doch selbst innerhalb politischer Mehrebenensysteme wie der EU können die Kompetenzen, relativ gesprochen, noch in die eine oder die andere Richtung verlagert werden, so dass auch dort Nationalisierungs- oder Denationalisierungsprozesse beobachtet werden können. Bezogen auf die Ressourcendimension hieße politische Denationalisierung: Bedeutsame Gewaltmittel bzw. ein beträchtliches Steueraufkommen konzentrieren sich nicht mehr auf der nationalen Ebene beim DRIS, vielmehr können subnationale oder internationale Organisationen vermehrt über solche Gewaltmittel oder Steueraufkommen verfügen. In der Rechtsdimension meint Denationalisierung hingegen: Die Rechtsetzung, Rechtsprechung und Rechtsdurchsetzung kontrolliert der Staat nicht mehr souverän auf nationaler Ebene, vielmehr können hier vermehrt subnationale oder internationale Organisationen eingreifen. Betrachtet man dagegen die Legitimationsdimension, so verbirgt sich hinter der Rede von der politischen Denationalisierung, dass sowohl kollektive Identitäten als auch legitimationsbedürftige Politiken sich vermehrt auf internationale oder subnationale Institutionen beziehen. Ob derartige Entwicklungen die Legitimität nationaler Politiken unterstützen oder ob hier tatsächlich Umverlagerungen stattfinden, ist eine weitere offene Frage. In der Dimension des Interventionsstaates verbindet sich mit politischer Denationalisierung die Vorstellung, dass wichtige regulative und redistributive Aufgaben nicht mehr auf nationaler Ebene vom Staat allein erfüllt, sondern in subnationale oder auch internationale Organisationen verlagert werden. Kombinieren wir nun die vier Dimensionen von Staatlichkeit mit den beiden Perspektiven (oder auch Dimensionen) der denkbaren Veränderungs- und Verlagerungsmöglichkeiten, so ergibt sich ein analytisches Schema, mit dem sich das Feld potentiell interessierender Frage- und Problemstellungen für das erste Modul in einer 4x2 Matrix beschreiben läßt. Mit Blick auf diese Abbildung ist zweierlei zu beachten. Zum einen: Obwohl die Veränderungsrichtungen der Staatlichkeit offen konzeptualisiert sind und somit nicht bereits in der Forschungsanlage präjudiziert werden sollen, zeigt sich in der Praxis der Einzelprojekte dann doch, dass Veränderungsprozesse in Richtung auf eine politische Ebene jenseits des Nationalstaates und Entstaatlichungsprozesse im Mittelpunkt unserer Untersuchungen stehen. Sowohl die Möglichkeit einer Subnationalisierung als auch die Möglichkeit einer akzentuierten Verstaatlichung spielen in den jeweiligen Projekten eine untergeordnete Rolle. Zweitens ist zu beachten, dass die beiden skizzierten Veränderungsachsen möglicherweise nicht vollständig unabhängig voneinander sind. So lassen sich interessante Wechselbeziehungen der Art denken, dass die Verlagerung auf die gesellschaftliche Ebene dann wahrscheinlicher wird, wenn parallel dazu eine Verlagerung weg von der nationalen Ebene stattfindet. Erst wenn sich Prozesse aus dem Käfig des Nationalstaates befreien - so könnte eine entsprechende Hypothese lauten - kann die Beharrungskraft der vested interests gebrochen werden und eine Rückverlagerung auf die gesellschaftliche Ebene erfolgen (so etwa Moravcsik 1994 und Wolf 2000). Umgekehrt könnte es sein, dass Verlagerungsprozesse hin zur subnationalen Ebene mit einer Stärkung staatlicher Apparate einhergehen. So treten viele der gegenwärtigen Regionalisierungsbewegungen gegen "neoliberale Politiken" des Zentralstaates ein und fordern staatliche Zuständigkeit (vgl. Lange 1998). Weiterhin lassen sich auch in stattfindenden Veränderungsprozessen angelegte Dynamiken vermuten, die dann weitere Entwicklungen verursachen. So lässt sich argumentieren, dass der politisch gewollten Internationalisierung im Zeitalter der Globalisierung aus funktionalen Gründen ein Trend zur gleichsam nicht-intentionalen Supranationalisierung eingebaut ist (Zürn 2002b). Aufgrund derartiger Binnendynamiken und der kausalen Beziehungen zwischen den neun Feldern aus Abbildung 4 ist im Ergebnis zu erwarten, dass nicht alle neun Felder von gleicher Bedeutung sein werden. Vielmehr lassen sich je nach Dimension unterschiedlich bestimmte Hauptbewegungstrends vermuten. Genau die letztgenannte Vermutung liegt unserer Leitthese der "Zerfaserung" zugrunde, die nun nochmals expliziert werden kann. Wir gehen davon aus, dass es in den verschiedenen Dimensionen von Staatlichkeit bedeutsame Verlagerungsprozesse gibt. dass diese Verlagerungsprozesse in den verschiedenen Dimensionen in unterschiedliche Richtungen weisen und es somit zu einer Zerfaserung von Staatlichkeit kommt. Das heißt, nicht jede Verlagerung ist eine Zerfaserung. Eine Zerfaserung von Staatlichkeit liegt nur dann vor, wenn in unterschiedlichen Dimensionen von Staatlichkeit Verlagerungsprozesse stattfinden, die nicht in dieselbe Richtung weisen, wenn sich also asynchrone Verlagerungsprozesse beobachten lassen. Synchrone Verlagerungsprozesse führen nicht zu einer Zerfaserung, sondern vielmehr zur ganzheitlichen Verlagerung der Staatlichkeit auf eine neue Ebene, etwa zum "Weltstaat" oder zum "Regionalstaat". Unsere Arbeitsthese der Zerfaserung beinhaltet allerdings noch keine Aussage darüber, wie sich Staatlichkeit neu konfiguriert. Der Sfb zielt zunächst nur darauf ab, die Verlagerungsprozesse in den verschiedenen Dimensionen von Staatlichkeit zu analysieren, ohne sich in ein Prokrustesbett gedachter neuer Konstellationen zu begeben. Gleichwohl sollen aufgrund der so untersuchten Verlagerungsprozesse im Verlauf Aussagen darüber generiert werden, wie sich Staatlichkeit rekonfiguriert und in eine neue, gegebenenfalls "postnationale Konstellation" übergeht. Erst dann kann auch beurteilt werden, was sich beispielsweise hinter der Rede von der post-westfälischen, post-nationalen oder post-modernen Staatlichkeit empirisch verbirgt. Ein denkbares Ergebnis könnte sein, dass sich Staatlichkeit in der Ressourcendimension kaum von der nationalstaatlichen Ebene entfernt, während sie sich zugleich in der Rechtsdimension internationalisiert, in der Legitimationsdimension transnationalisiert und in der Wohlfahrtsdimension privatisiert. Eine angemessene und analytisch nützliche Beschreibung der Wandlungsprozesse von Staatlichkeit setzt voraus, dass der Untersuchungsgegenstand in verschiedene Dimensionen desaggregiert wird (wider die Überaggregierung), dass er an eine historische konkrete Konstellation angebunden wird (wider die Überabstraktion) und dass dieser Wandel mit einem differenzierten Kategoriensystem erfaßt wird (wider die dichotomische Konzeptualisierung), so die bisherige Argumentation. Eine solche konzeptionelle Ausdifferenzierung erzeugt jedoch ein Folgeproblem: Wieviel Veränderung ist notwendig, um sinnvollerweise von einem Wandel der Staatlichkeit sprechen zu können? Eine gewisse Entstaatlichung in einer Dimension bei einem Staat, also beispielsweise die Privatisierung von Post- und Telekommunikation in Großbritannien, reicht für sich genommen wohl kaum aus, um die These vom Wandel der Staatlichkeit zu belegen. Es muß also zwischen einem Politikwandel in einzelnen Staaten und einem Wandel von Staatlichkeit selbst unterschieden werden. Wieviel Veränderung muß aber beobachtet werden, bevor wir von einem qualitativen Wandel der Staatlichkeit sprechen können? Beim Umgang mit diesem "Eichungs"- oder "Schwellenwertproblem" ist zweierlei zu beachten. Zum ersten enthält unser konzeptioneller Rahmen bereits einige Schwellenanforderungen. Bevor wir von einem Wandel der Staatlichkeit sprechen wollen, müssen drei Bedingungen erfüllt sein:
Zum zweiten soll aber der angesprochene Eichungsprozeß selbst Ergebnis des geplanten Projektverbundes sein und keine Vorgabe. Einzelne Teilprojekte werden immer auch versuchen, den qualitativen Gehalt eines konstatierten Veränderungsprozesses zu erfassen und "auf den Begriff" zu bringen. Aus der Zusammenschau dieser Ergebnisse soll eine zunehmend genauere Erfassung der "Schwellenwerte" möglich werden, so dass Veränderungen in einzelnen Staaten eindeutig von einem Wandel von Staatlichkeit abgegrenzt werden können. Darüber hinaus ist zu beachten, dass insbesondere die Projekte, die die Staatstätigkeit in unterschiedlichen Staaten systematisch miteinander vergleichen, die Ursachen der Varianzen über verschiedene Staaten hinweg besonders genau untersuchen können. Diese komparatistischen Untersuchungen können potentiell zu vier Ergebnissen gelangen. Erstens mag in der jeweils untersuchten Dimension überhaupt kein signifikanter Wandel feststellbar sein. Zweitens kann sich in manchen Staaten ein Wandel ergeben, in anderen besteht aber der Status quo fort. In diesen beiden Fällen ist die These einer veränderten Staatlichkeit für die jeweils untersuchte Dimension zurückzuweisen. Es liegt offensichtlich kein Korridoreffekt vor. Drittens ist ein denkbares Ergebnis einer solchen komparatistischen Untersuchung, dass sich alle untersuchten Staaten verändern und dabei auf einen gemeinsamen Punkt hin konvergieren. Dieser Befund könnte insofern auf eine Veränderung von Staatlichkeit hinweisen, als sich dann der Korridor der Staatlichkeit verengt. Der Befund ist für den Wandel von Staatlichkeit insbesondere dann relevant, wenn die konvergente Entwicklung auf äußere Zwänge zurückzuführen ist. Dort, wo eine derartige Korridorverengung festgestellt wird, muss unbedingt eine Ursachenuntersuchung folgen. Ähnlich ist die Situation mit Blick auf einen vierten denkbaren Befund komparatistischer Untersuchungen. Wenn sich in allen untersuchten Ländern ein Wandel beobachten lässt, dieser Wandel aber keine einheitliche Richtung aufweist, dann haben wir es mit einer Art "generalisierter Turbulenz" auf dem Korridor des DRIS zu tun. Inwieweit dies als Element eines Wandels von Staatlichkeit zu deuten ist, ließe sich gleichfalls auf der Grundlage einer Ursachenuntersuchung leichter beantworten. Untersuchungsgegenstand Die Teilprojekte eint weiterhin, dass, sofern Internationalisierungs- und Supranationalisierungsprozesse analysiert werden, innerhalb der OECD-Welt keine Verengung auf die Europäische Integration erfolgt. Veränderung von Staatlichkeit im engeren Kontext der Europäischen Integration nachzuweisen greift für unsere Zwecke zu kurz. Entsprechende Forschungen über die EU haben gerade in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Der Untersuchungsgegenstand des Sfbs unterscheidet sich davon in mindestens zweierlei Hinsicht. Zum einen haben wir einen anderen Fokus gewählt. Der Blick richtet sich zunächst auf den Nationalstaat und wie er in neuen Kontexten wie der EU agiert, er richtet sich nicht unmittelbar auf die neuen institutionellen Kontexte wie etwa die EU. Zum anderen beschränken wir uns ganz bewusst nicht nur auf die Mitgliedsstaaten der EU. Gerade durch den Vergleich von außereuropäischen und europäischen OECD-Ländern kann das allgemeine Ausmaß des Wandels von Staatlichkeit besser erfasst werden. Die EU stellt insofern also keinen besonderen Fokus dar, sie ist vielmehr eine internationale Institution unter anderen. Indem die EU als eine unter vielen internationalen Institutionen verstanden wird, eröffnet sich aber analytisch die Möglichkeit, die EU als Kontrast- oder Exportmodell und auch schlicht als Vergleichsfall zu anderen internationalen Institutionen in die Untersuchungen zu integrieren. Dieses Vorgehen befreit die Betrachtung der EU von der strapazierten sui-generis-Perspektive und eröffnet umgekehrt neue Einsichten in die EU. Leitfrage 2: Die Erklärung des Wandels von Staatlichkeit Ursachen des gemeinsamen Wandels Vor diesem konzeptionellen Hintergrund soll nach unserem gegenwärtigen Stand der Überlegungen darauf verzichtet werden, die Untersuchung über die Ursachen des Wandels bzw. Nicht-Wandels anhand vorgegebener Ursachenbündel gleichermaßen über alle Teilprojekte hinweg zu betreiben. Die in der Literatur verhandelten Thesen über die Ursachen des derzeitigen staatlichen Wandels sind häufig so breit, unspezifisch und empirisch schwer zugänglich, dass es derzeit gar nicht möglich erscheint, die empirischen Erhebungen für alle vermuteten Ursachen in allen Teilprojekten zu leisten. Sofern die Ursachenfrage in den Einzelprojekten also gestellt wird, sollen die zu untersuchenden Hypothesen fallspezifisch entwickelt werden. Es ist dann Aufgabe des Sfbs im Ganzen, die Befunde zusammenzuführen, ggf. integrierte Ursachenuntersuchungen zu entwickeln und auf induktive Weise zu allgemeineren Aussagen zu gelangen. Für die Aufgabe der Zusammenführung kann man sich zunutze machen, dass sich generell zwei unterschiedliche Typen von Erklärungen ausmachen lassen, in denen jeweils auf unterschiedliche Kausalmechanismen zurückgegriffen wird. Zum einen können Erklärungen herangezogen werden, die als Ursache für Veränderungsprozesse von Staatlichkeit auf Entwicklungen verweisen, die der synergetischen Konstellation der Staatlichkeit äußerlich sind. Der Wandel von Staatlichkeit reagiert auf grundlegende gesellschaftliche Wandlungsprozesse wie die Globalisierung bzw. die gesellschaftliche Denationalisierung (vgl. z. B. Goldmann 2001; Held u.a. 1999; Vobruba 2001; Zürn 1998) oder die Tertiarisierung bzw. das Ende des industriellen Zeitalters (vgl. Menzel 1998; Albert 1996) oder die entsprechenden Strukturveränderungen der Arbeit (s. u.a. Wagner 2000 bzw. insgesamt Kocka/Offe 2000). Diese grundlegenden Wandlungsprozesse führen insbesondere über zwei Kausalmechanismen zu einer Veränderung von Staatlichkeit:
Zum anderen können Erklärungen in Betracht gezogen werden, in denen die Ursachen des Wandels der Staatlichkeit innerhalb der synergetischen Konstellation des DRIS selbst angesiedelt werden. Da synergetische Konstellationen sich dadurch auszeichnen, dass ihre verschiedenen Dimensionen sich wechselseitig stützen, können sie einzelne Instabilitäten auffangen. Geringe Instabilitäten können sich aber auch dynamisch entwickeln, im Sinne von "kleine Ursachen, große Wirkungen". Der Wandel solcher Konstellationen ist deshalb nur angemessen zu verstehen, wenn auch das Zusammenspiel von Wandlungsprozessen innerhalb der synergetischen Konstellation untersucht wird. Als Erklärungen für diesen Wandel kommen deshalb auch Prozesse in Betracht, die von den eben angesprochenen gesellschaftlichen Entwicklungen in einer Dimension angestoßen werden, sich aber dann in Wandlungsprozesse in anderen Dimensionen übersetzen. So legt beispielsweise die Individualisierung bzw. Pluralisierung von Lebenswelten in der Legitimationsdimension (vgl. jetzt Honneth 2001; Münch 2001; Stichweh 2000) nahe: Der Staat sieht sich zunehmend mit Schwierigkeiten in der Interventionsdimension konfrontiert oder ihm werden notwendige Ressourcen entzogen. In ähnlicher Weise wird von Vertretern der Regulationstheorie argumentiert: Der Übergang zu einem postfordistischen Akkumulationsregime im ökonomischen Bereich wirkt sich auch politisch aus (Esser 1994; Hübner 1998; Jessop 2001, 1994, 1992). Derartige Thesen beruhen gleichfalls auf Argumentationsfiguren, die den Kausalmechanismus benennen, über den eine Veränderung in einer Dimension zur Veränderung der nationalen Konstellation als Ganzem führt:
Varianz im Wandel von Staatlichkeit Auch für diese Aufgabe kommen grundsätzlich zwei unterschiedliche Erklärungen in Betracht: Erstens solche Erklärungen, die unmittelbar einen Zusammenhang zwischen den Ursachen des Wandels und den Unterschieden in der Veränderung der Staatlichkeit herstellen. Demnach mögen die Varianzen im Wandel von Staatlichkeit daher rühren, dass verschiedene Staaten mit unterschiedlicher Intensität etwa von Globalisierung oder Individualisierung betroffen sind. Davon sind zweitens solche Erklärungen zu unterscheiden, die diesen Zusammenhang mittelbar herstellen. Demnach mögen Unterschiede im Wandel der Staatlichkeit darauf zurückgeführt werden, dass sich Globalisierungs- oder Individualisierungsprozesse in unterschiedlichen Staaten aufgrund divergierender politisch-institutioneller Gegebenheiten unterschiedlich auswirken, da Veränderungen in der Politikumwelt politisch be- und verarbeitet werden müssen. Die einzelnen Reaktionsmuster auf diese Veränderungen variieren mit den Präferenzen und Situationsdeutungen der Akteure, den Akteurskonstellationen und den institutionellen Handlungskontexten, in denen sie operieren. Hier kommt die klassische Staatstätigkeitsforschung zum Zuge: Sie führt die Varianzen im policy output und outcome zurück auf unterschiedliche parteipolitische und außerparlamentarische Kräfteverhältnisse, institutionelle Rahmenbedingungen wie die Staatsstruktur oder die Demokratieform, tradierte Problemlösungsroutinen und institutionelle Rigiditäten (Pfadabhängigkeit) sowie auf eingespielte Interaktionsformen der Interessenvermittlung, etwa Korporatismus versus Pluralismus (Schmidt 1993; Castles 1999; Scharpf 2000; Pierson 2000; Hacker/Pierson 2002). Unterschiede im Wandel von Staatlichkeit entlang der Länderachse sind dieser zweiten Forschungsrichtung zufolge zuallererst im politischen System zu suchen. Varianzen zwischen Ländern und Fällen haben nicht nur eine Eigenbedeutung. Sie stellen auch ein Mittel dar, das zur Erforschung von allgemeinen Ursachen dienen kann. Indem über die Länderunterschiede die abhängige Variable "Wandel" Varianzen aufweist, kann die komparative Methode zur Erforschung des allgemeinen Wandels eingesetzt werden. Um nur zwei Beispiele anzudeuten: Unterliegen tatsächlich die am meisten denationalisierten Länder dem größten Wandel? Sind tatsächlich die Fälle, in denen der regulative Wettbewerb am ausgeprägtesten ist, durch eindeutige Verlagerungsprozesse gekennzeichnet? Leitfrage 3: Die Konsequenzen des Wandels von Staatlichkeit Mit anderen Worten: Während die institutionellen Dimensionen der Staatlichkeit - sei es der moderne Territorialstaat, der souverände Rechtsstaat, der demokratische Nationalstaat oder der soziale Interventionsstaat - in unserer Konzeptualisierung weitestgehend instrumentellen Charakter besitzen, wird den sozialen Grundwerten - physische Sicherheit, Rechtssicherheit und Gleichheit vor dem Gesetz, demokratische Selbstbestimmung und soziale Wohlfahrt - ein normativer Status zugeschrieben. Sie verkörpern normative Ziele des Regierens. Somit stellt sich für das evaluative Modul 3 zwingend die Frage: Wie könnte sich ein institutioneller Übergang von der nationalen zur postnationalen Konstellation auf die Verwirklichung sozialer Grundwerte auswirken? Während beispielsweise in Modul 1 untersucht wird, ob Rechtssicherheit zunehmend von transnationalen Institutionen bereitgestellt wird, geht es in Modul 3 um die Frage: Können diese Leistungen von transnationalen Institutionen besser oder schlechter erbracht werden, als sie vom DRIS in den 1960er und 1970er Jahren erbracht wurden? Dieses evaluative Modul kann auch praxeologisch relevant werden: Der mögliche Befund, wonach im Übergang von der nationalen zur postnationalen Konstellation bei bestimmten Leistungen die Verwirklichungsmöglichkeit für bestimmte normative Güter sinkt, sollte Überlegungen anstoßen, wie diese wieder gesteigert werden kann. Weiterlesen: Die Zukunft der Staatlichkeit |
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